Von Richtern und anderen...
Regie   Axel Engstfeld
Kamera Bernd Mosblech
Ton Michael Loeken
Schnitt   Lijane Lübcke
Länge   62 Minuten
Format 16mm
Awards Bundesfilmpreis in Silber 1982
Hauptpreis des Festivals:"Figueira da Foz" 1982
Sendung 1982
Synopsis
September 1943—Das Sondergericht Oldenburg fällt das Urteil gegen einen Büroboten: Er hat 2 Stück Seife und 1 Dose Schuhcreme an sich genommen. Als Volksschädling wird er zum Tode verurteilt.

Über 16.000 Todesurteile fällten die Sondergerichte und der Volksgerichtshof während der Nazi-Zeit. Und die Richter und Staatsanwälte, die damals Unrecht sprachen, waren nach '45 alle wieder in Amt und Würden.

In einem Bundesland sorgte das sogenannte "Huckepackverfahren" für die Verfilzung von Vergangenheit und Gegenwart: Zusammen mit jedem neu eingestellten, unbelasteten Richter wurde ein schwer belasteter eingestellt. Standesbewußtsein und Chorpsgeist schützten die belasteten Kollegen: Anzeigen gegen Richter und Staatsanwälte wurden nicht beantwortet, Ermittlungen stillschweigend eingestellt.

Peggy Parnass, Jüdin, Journalistin, selbst eine Angehörige von Opfern der NS-Justiz, hat während ihrer 10-jährigen Arbeit als Gerichtsreporterin die Auswirkungen dieser Kontinuität immer wieder erlebt und beschrieben. Ihrer radikal subjektiven Sicht, ihren Erlebnissen und ungeheuerlichen Begegnungen mit NS-Juristen von damals in den Gerichten von heute folgt dieser Film.

Pressekritiken Fachbereich Film/Bild/Ton im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik e.V.
April 1982

Die Jury der Evangelischen Filmarbeit empfiehlt als
Film Des Monats

Von Richter und anderen Sympathisanten

Juristen im Hitlerreich, Hitlers Juristen im Nachkriegsdeutschland: Ein Stoff voller Brisanz, ein heißes Eisen. Wie heiß, auch heute noch, ergibt sich aus der Tatsache, daß die Juroren, die Engstfelds Film für den Bundesfilmpreis vorschlugen, alsbald unter scharfen amtlichen Gegendruck gerieten. Daß sie sich nicht manipulieren ließen, spricht für ihre Zivilcourage.

"Von Richtern und anderen Sympathisanten”, ein sehr wichtiger, noch immer aktueller Film, ist kein Dokumentarstreifen wie andere auch. In dem er ohne falsche Rücksicht auf ständische oder andere Vorurteile das skandalträchtige Thema "Nazi-Juristen nach 1945” anpackt und offen diskutiert, leistet er einen, wenn auch späten Beitrag zur Gewissensschärfung in der bundesdeutschen Öffentlichkeit. Der Film verdient es, gerade auch in der jüngeren Juristengeneration ernst genommen und diskutiert zu werden. Jeder Versuch des Beschönigens oder gar Totschweigens würde den ohnehin höchst peinlichen Tatbestand nur verschlimmern.




Tip 21/82
BRISANT

"Von Richtern und anderen Sympathisanten" von Axel Engstfeld: Ausschnitte aus der "Tagesschau" berichten über die Verkündung der - skandalösen – Urteile im Majdanek-Prozeß. Und Peggy Parnass ist sichtlich empört. Das wird auch der Zuschauer sein nach dieser 60-minütigen Dokumentation, an der sie nicht nur darstellerisch beteiligt war. Es geht um einen politischen, juristischen, moralischen Skandal, von dem viele wissen und über den wenige sprechen: Etliche der "furchtbaren Juristen" des Dritten Reiches, die in Sondergerichten für "absolute Nichtigkeiten" (P.P.) –begangen von Juden, Polen, von sogenannten "Volksschädlingen" - Todesstrafen verhängten, machten 1945 rasch wieder Karriere —als Richter, Rechts- und Staatsanwälte. Und wenn sie nicht gestorben sind, treten sie auch heute noch in NS-Verbrecher-Prozessen als Verteidiger auf.

Wie z.B. Dr. Herrmann Stolting, vor 1945 Staatsanwalt am Sondergericht Bromberg, für den Hinrichtungsbefehle weniger eine Frage des Rechts als vielmehr eine Frage der Ästhetik waren. Er meldete sich ausführlich zu Wort. ("Meinen Sie, die Todesstrafe käm' nicht wieder, wenn wir heute in einen Krieg verwickelt wären? Die käm' sofort gegen die Kriegsdienstverweigerer, da können Sie Gift und Galle nehmen") Es werden weitere Namen und Daten genannt. Beispiele, die sich beliebig ergänzen ließen - über den Bereich der Justiz hinaus. Das hat Tradition in Deutschland und setzt sich deshalb fort.

Richter Ulrich Vultejus vom Amtsgericht Hildesheim drückt es treffend so aus: "Deutsche Juristen sind immer die Funktionäre des Staats gewesen und nicht die des Bürgers." Dies weist der Film auch für heute noch nach, weshalb er nicht nur zeitgeschichtlichen Nachhilfeunterricht leistet, sondern hochaktuell und brisant wirken kann. Sein Fazit mag die Abwandlung eines berümten Tucholsky-Wortes sein: "Wir haben die Firma gewechselt, aber
in dem Laden ist vieles beim alten geblieben."
Alfred Holighaus

Von Richtern und anderen Sympathisanten" BRD 1981/82, B: Axel Engstfeld, Gisela Keuerleber. Mitwirkung: Peggy Parnass. M: Tangerine Dream, Klaus Schulze; R: Axel Engstfeld; 16mm; Farbe; 60 Minuten.




FAZ 27/11/82
Ein unbelastetes Gewissen
Diskussion über den Film "Von Richtern und anderen Sympathisanten”

md. Ein älterer Herr, der im Lehnstuhl sitzt und aus seiner Vergangenheit plaudert, erregt gemeinhin nicht viel Aufsehen; anders ist es jedoch, wenn ein ehemaliger Staatsanwalt des Sondergerichtes Bromberg über seine beruflichen Angelegenheiten fast gänzlich unberührt berichtet. "Mein Gewissen hat es nicht belastet, wenn ich bei Vollstreckungen anwesend war. Es war mir unangenehm. Das war aber mehr eine Frage der Ästhetik als des Rechts”, sagt Hermann Stolting in einem Gespräch mit dem Filmemacher Axel Engstfeld, dessen Streifen "Von Richtern und anderen Sympathisanten” in der Berger Cinema Studios gezeigt wurde und über den im Anschluß an die Vorstellung rund 150 Zuschauer mit einer Mitwirkenden und einem Rechtsexperten sprechen konnten.

Peggy Parnass, engagierte Gerichtsreporterin, und Strafrechtler Klaus Lüderssen von der Universität Frankfurt stellten ihre unterschiedlichen Auffassungen zu dem Film und zur Lage der deutschen Justiz in kurzen Stellungnahmen vor. Die "exakt gleiche, identische Mentalität” zwischen Juristen des Dritten Reiches und denen der Bundesrepublik wollte Peggy Parnass erkannt haben. Es seien diese Leute, die einem Hermann Stolting recht gäben und Demonstranten verurteilten. Daß die heutige Juristen- und Richtergeneration identisch sei mit ihren Vorgängern, die am Volksgerichtshof im Namen Adolf Hitlers "Recht” gesprochen haben, mochte Klaus Lüderssen nicht glauben. Man sollte nicht so schlecht von der Justiz deken, meinte der Rechtslehrer, ihr sei schließlich etwas heilsam-begrenzend Liberalisierendes zu eigen.

Dem Vorwurf aus dem Publikum, daß es manchem heutigen Juristen an historischem Bewußtsein mangle, pflichtete Lüderssen bei. Für einen "vollständigen Skandal” hielt er, daß ehemalige Nazirichter wieder in die Justizlaufbahn eingestellt wurden und überdies kein einziger Richter des Dritten Reiches verurteilt worden sei. Mit dem positiven Rechtsbegriff sei die Strafverfolgung der Nazirichter nicht einzuleiten, allenfalls könne ein Richter verantwortlich gemacht werden, wenn er etwa keinen Verteidiger zugelassen oder ähnliche Verstöße gegen verfahrensrechtliche Bestimmungen begangen habe. Ein naturrechtlicher Rechtsbegriff, wie ihn der Bundesgerichtshof nach dem Krieg gepflegt habe, müsse auf die Naziverbrechen der Juristen angewendet werden.

Die Ursache für die mangelnde Vergangenheitsbewältigung liege darin, daß die Gefühle einer ganzen Generation unterdrückt worden seien, meinte Peggy Parnass. Sie glaubte, eine Kontinuität zwischen den Urteilen der Nazirichter, den Kommunistenverfolgungen der fünfziger Jahre und den "Berufsverboten” unserer Tage erblicken zu können. Die Todesurteile der Sondergerichte und des Volksgerichtshofes, von Richtern ausgesprochen, seien "Anstiftungen zum Mord” gewesen. Auch die Wortmeldungen aus dem Publikum neigten mehr den rigiden Auffassungen von Frau Parnass zu. Lüderssen, der formaljuristisches Verständnis bei den Zuhörern wecken wollte, stieß vielfach auf taube Ohren.




Es gab viele Freislers
Die Dokumentation "Von Richtern und anderen Sympathisanten”

Der Eintritt: 7.50 Mark ist zwar für ein knappes Filmstündchen hoch und die Zeit: 21 Uhr (im Türkendolch) nicht günstig. Doch ist die Dokumentation: Von Richtern und anderen Sympathisanten ein Muß für alle, speziell junge Leute, die sich für Zeitgeschichte interessieren, und für alle Juristen, werdende, seiende, pensionierte.

Roland Freisler life. Der Volksgerichtshofvorsitzende geifert mit überschlagender Stimme auf den 20.-Juli-Verschworenen Joseph Wirmer ein, es läuft dem Zuschauer kalt über den Rücken. NS-Jurist Parisius: "Die Aufgabe des Volksgerichtshofes ist es nicht, Recht zu sprechen, sondern die Gegner des Nationalsozialismus zu vernichten."

Nicht beim Volksgericht, doch beim Sondergericht in Bromberg war eine der Hauptfiguren dieses Films (Basis-Filmverleih) tätig: Staatsanwalt Stolting, kürzlich in Österreichs "Club 2” im Fernsehen zu erleben, wo er sich als Deutschnationaler aufspielte. Man muß diesen Dialog über die "Polenstrafrechtsverordnung" hören, seine Antwort auf die Frage, ob damals unterschieden wurde zwischen Polen und Juden: "Die Polen wurden ja auch nicht anerkannt, das ist klar, nach der Auffassung von Hitler waren es ja Untermenschen und wurden so entsprechend behandelt.” So einfach ging das damals.

Staatsanwalt Stolting verhängte wegen eines Fahrraddiebstahls die Todesstrafe und war bei vielen Hinrichtungen anwesend. "Herr Scharfrichter, walten Sie Ihres Amtes", sagte er dann. Es war ihm zwar ästhetisch unangenehm, aber belastete es sein Gewissen? "Nee."

Nach dem Kriege war er wieder Staatsanwalt wie fast alle Richter und Staatsanwälte der Sondergerichte. Filmemacher Axel Engstfeld beweist das in seiner Dokumentation, zu der ihm Journalistin Peggy Parnass vorzügliches Material lieferte.

Sie hat viele NS-Prozesse verfolgt und schrieb ein Buch darüber, warum sie Film zwar gleich in die Setzmaschine diktierte, war allerdings nicht recht einzusehen. (In München läuft der Film noch bis zum 3. März im Türkendolch)
Ursula von Kard




Spiegel, 18.10.82

Richter und andere Sympathisanten

Ende Oktober startet in Nordrhein-Westfalen ein Dokumentarfilm, der die Juroren des Bundesfilmpreises in Druck gebracht hat: "Von Richtern und anderen Sympathisanten". Regisseur Axel Engstfeld, seine Co-Autorin Gisela Keuerleber und die Hamburger Journalistin und mehrfach ausgezeichnete Gerichtsreporterin Peggy Parnass zeigen anhand einiger Beispiele die nahtlose Kontinuität deutscher Justiz: Hitlers Blutrichter von damals als ehrbare und allseits ungeschorene Juristen von heute. Verunsichert durch scharfe Einwände aus dem Innenministerium - der Film diffamiere den Berufsstand der Juristen, verunglimpfe die Bundesrepublik und sei somit keinesfalls preiswürdig -, schauten sich die Preisrichter fast geschlossen den Film zum zweiten Mal an.
Ergebnis: Bundesfilmpreis. Kommentar der Jury der Evangelischen Filmarbeit, die Engstfelds Dokumentation als "Film des Monats" ausgezeichnet hat: "Zivilcourage".




Bad. Neueste Nachrichten 20.11.82

Beschämend aktuell
"Von Richtern und anderen Sympathisanten Bambi): Dieser Dokumentarfilm von Axel Engstfeld behandelt ein Thema, das unter politisch und juristisch Interessierten eigentlich schon hinreichend bekannt ist - ohne daß sich daraus irgendwelche Folgen ergeben hätten. Die gleichen Juristen, die während des Dritten Reiches im angeblichen "Namen des Volkes" ungerührt Todesurteile für Bagatellvergehen aussprachen, wurden nach dem Krieg wieder in den Justizdienst übernommen.

Engstfeld montiert zu Bild- und Tondokumenten von damals lange Fahrten durch die Hallen der Justiz und Beschreibungen der Publizistin Peggy Parnass, die Erfahrungen mit dem heutigen Wirken der Nazirichter hat. Und man braucht die gelegentlichen ruhigen Passagen zum Luftholen angesichts all der Ungeheuerlichkeiten, die da offenkundig werden. Dazu gehört die perfide Art und Weise, wie beim NS-Volksgerichtshof der Richter Freisler die Angeklagten niedermacht. Dazu gehört aber auch die Selbstzufriedenheit, mit der heute ein ehemaliger Staatsanwalt erklärt, alles was er damals beantragt habe, sei rechtens gewesen. Und:

"Wenn heute Krieg wäre, und es gäbe die Todesstrafe, würde ich sie wieder beantragen, zum Beispiel gegen Kriegsdienstverweigerer.”

Spätestens dann merkt man, wie beschämend aktuell die Problematik noch ist Schülern und Lehrern sei der Film unbedingt empfohlen.
hgk




Steinplatz (Ab 24. 9. im .)
Blickpunkt Okt. 82

"Von Richtern und anderen Sympathisanten"

Über 16 000 Todesurteile wurden während der Nazi-Zeit von Sondergerichten verhängt. Die Opfer waren melst "Polen und Juden" (ein Richter im Rückblick).

Die Gründe für ihre Ermordung von Staats wegen waren oft grausam absurd: Diebstahl von ein bißchen Seife und Schuhcreme; Angriff auf den Hund elnes SS-Mannes . . .

Am erschreckendsten Ist der Film von Axel Engstfeld dann, wenn es ihm gellngt, einem der Verantwortlichen von damals im Interview Unglaubliches zu entlocken Dr. Hermann Stolting war als Staatsanwalt am Sondergericht Bromberg für zahlreiche dieser Todesurteile verantwortlich. Nach dem Krieg setzte er - nach Zahlung von tausend Mark Geldstrafe - seine Karrlere ungebrochen fort. Wenn es heute wieder eine Todesstrafe für Kriegsdienstverweigerung geben sollte, er würde sie mit Überzeugung für jeden Angeklagten fordern.

Aus seinen Auslassungen wird klar, welche Gesinnung vom deutschen Justizdiener erwartet wird, der Film belegt das sehr sachlich und macht damit sehr wütend. Und bringt etwas von dem 'rüber, was die Gerichtsreporterin Peggy Parnass, auf deren Erfahrungen der Fllm basiert, tagtäglich über Jahre hinweg hat erleben müssen.




Kölner Stadt-Anzeiger - Nr. 241/ 38

Film in der Kritik
"Von Richtern und anderen Sympathisanten", Dokumentarfilm

Von Dietrich Leder

Ein Jurist gibt Auskunft: "Man hat sich eben gesagt, Polen und Juden, das sind potentielle Volksschädlinge und da hat man die Strafen für gerecht gehalten." Dr. Hermann Stolting, der das sagt, war Staatsanwalt beim Sondergericht in Bromberg, nach dem Krieg ohne Mühen weiter als Staatsanwalt beschäftigt. Bekannt als Verteidiger im Maidanekprozeß.

Stolting wird von dem Kölner Filmemacher Axel Engstfeld befragt, und man spürt das Entsetzen des Interviewers, wenn Stolting mit der gleichen eisigen Kälte, mit der er während des deutschen Faschismus Todesstrafen beantragte, diese heute noch rechtfertigt. Der ungeheuerliche Satz des Marinerichters a. D. Dr. Filbinger, daß heute das nicht Unrecht sein könne, was damals Recht war, könnte Leitlinie auch für Stolting sein.

Das Interview mit Stolting steht im Mittelpunkt des Dokumentarfilms "Von Richtern und anderen Sympathisanten", den Axel Engstfeld gemeinsam mit Gisela Keuerleber drehte. Ausgehend von der Verdrängung der Verbrechen, die Juristen "lm Namen des deutschen Volkes" begingen, setzen sich die Autoren auf die Spur derjenigen, die an ihnen beteiligt waren. Als Sachverständige steht ihnen die Journalistin Peggy Parnass zur Seite, deren Eltern im Konzentrationslager ermordet wurden. Sie hat in ihrer Arbeit als Gerichtsreporterin seit Jahren die Verschleppung von NS-Verbrechen attackiert, hat die erneute Diffamierung von Opfern durch Verteidiger miterlebt.

Der Film ist ein kleines Porträt der Peggy Parnass, er ist zugleich die Recherche nach einer Vergangenheit, die man in der Gegenwart wiederfindet. In zahlreichen Interviews, in Dokumentaraufnahmen, in Urteilszitaten wird ein Bild des Justizapparats entworfen, den ein ehemaliger Verteidiger als "Todesmaschinerie" bezeichnet.

Gleichzeitig muß Engstfeld erkennen, daß nicht nur Staatsanwalt Stolting oder Marinerichter Filbinger ungestraft davonkamen. Sie müssen feststellen: "Bis heute wurde kein einziger ehemaliger Berufsrichter, ehrenamtlicher Richter oder Staatsanwalt wegen der Beteiligung an Todesurteilen rechtskräftig verurteilt."
"Von Richtern und anderen Sympathisanten" ist ein Film der Erschrecken auslöst. Ein Erschrecken, das in die Wirklichkeit zurückweist.

Trotz kleiner Mängel - die dräuende Musik der "Tangerine Dream" mystifiziert das Thema ein wenig - ist dieser Film ein gelungener Beweis dafür, daß Dokumentarfilme spannend sein können, ohne ihr Thema zu verraten, daß sie informieren können, ohne zu langweilen, daß sie parteiisch sind, ohne ungenau zu werden. Deshalb und natürlich wegen seines Themas gehört dieser mit dem Bundesfilmpreis prämierte Film in die Kinos.
(Uni-Center)




Vorwärts 7.7.83
Filmemacher (IV)

Über die argumentative Nutzung von Bildern
"Von Richtern und anderen Sympathisanten" ist Axel Engstfelds bisher größter Kinoerfolg.

Von Doris J. Heinze

Es gibt wohl kaum ein anderes Land, in dem, ohne auf eine einheitliche Schule oder gar eine lange Tradition blicken zu können, eine derartige Fülle an Dokumentarfilmen produziert wird wie gerade in der Bundesrepublik. Dennoch wäre es falsch, von einer blühenden Dokumentarfilmkunst zu sprechen.

Allein wichtig scheint vielen die reine Information. Mit geradezu peinlicher Konsequenz werden ästhetische Bilder vermieden, so als sei Kunst im Dokumentarfilm etwas Anrüchiges. Zwar werden Bilder immer gesucht, aber gefunden werden sie selten.

Aus der Handvoll derer, die den Dokumentarfilm nicht nur als Kunst begreifen, sondern, in argumentativer Nutzung von Bildern, auch umzusetzen verstehen, muß vor allem einer genannt werden: Axel Engstfeld. Die Eigenständigkeit seiner Bilder, sein Sich-Hinwegsetzen über formale Zwänge, selbst Genrezuordnungen, ist nicht etwa die Unbekümmertheit eines Nicht-Wissenden. Es ist die sehr genaue Kenntnis der Dinge, die ihn über alles Schubladendenken erhaben sein läßt. Schon der Filmwissenschaftler Arnheim hat einmal geschrieben: "Nicht auf die Grenzen eines Kunstbezirkes kommt es an, sondern auf sein Zentrum.”

Dramaturgie eines gut gemachten Spielfilms

Wie wichtig ein Thema auch sein mag, erst durch perfekte Montage, die ausgeht von der Dramaturgie eines gut gemachten Spielfilms, wird Spannung erzeugt und gehalten, kann erreicht werden, daß sich beim Zuschauer etwas verändert. Und genau das ist es, was letzten Endes jeder Dokumentarfilm erreichen will.

Axel Engstfeld, der Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften studiert hat, beherrscht die Dramaturgie des Mediums. Sein Wissen um sinnvolle Akzentuierung ermöglicht die optisch belegte Aussage, führt weg von visuellen Zufallsprodukten. Und mit Bernd Mosblech hat er einen herausragenden Kameramann mit Sinn für atemberaubende Bilder.

Engstfelds bisher größter Erfolg ist: "Von Richtern und anderen Sympathisanten” (1982), ausgezeichnet mit dem Bundesfilmpreis. Ein Film nicht nur über die NS-Vergangenheit von Richtern, die auch heute im Amt sind, vielmehr eine erschreckende Darlegung unausrottbarer Ansichten.

Das ganze Spektrum dokumentarischer Ausdrucksformen wurde genutzt, von Beobachtung, Interviews bis zum gezielten Einsatz von Filmzitaten, Archivmaterialien aus den 30er Jahren, dazu Ausschnitte aus Reden Görings, Goebbels und Hans Franks. Wie ein roter Faden zieht sich die inszenierte Moderation der Jüdin Peggy Parnass, deren radikale Gerichtsreportagen berühmt sind, durch den gesamten Film.

Engstfeld ist es gelungen, der optischen Konkretheit seiner Bilder Sprache und Text zuzuordnen. Nichts wurde dem Zufall überlassen, die Sprache ist integriert, ob sie nun das Bild ergänzt oder ihm widerspricht.

Dieser bemerkenswerte Kinoerfolg (mit den,,Richtern” ist es zum erstenmal gelungen, 60 Minuten als alleiniges, abendfüllendes Programm in die Kinos zu bekommen), aber auch der internationalen Einsatz des Films, der Ankauf durch ausländische Fernsehanstalten, die Präsentation auf zahlreichen Festivals - die Reaktionen eines doch sehr unterschiedlichen Publikums also haben eines deutlich gemacht: weder das Gespenst des Faschismus noch die unbehelligten Karrieren der meisten Beteiligten sind etwas spezifisch Deutsches. Aus Portugal zum Beispiel nahm Axel Engstfeld die Erkenntnis mit, der Film könnte die dortige Situation fast ebensogut beleuchten.

Während der Dreharbeiten zu "Von Richtern und anderen Sympathisanten” schienen eine Zeitlang die aktuellen Geschehnisse stärker als geplant in den Vordergrund zu terten. So entstanden auch Bilder von den zeremonienhaften Feierlichkeiten zum 25jährigen Bundeswehrjubiläum, Bilder mit einer derart starken Eigendynamik, daß ein eigener Kurzfilm entstand:”Feier-Abend”, in den Kinos als auffallende Episode des ansonsten eher enttäuschenden Kluge/Schlöndorff-Projektes "Krieg und Frieden” zu sehen.

Zwischen Staatsdenken und Volksempfinden

Die weißen Helme der Polizei, wie eine geschwungene Grenzmarkierung, die sich längs durch das ganze Bild zieht (und somit auch das Filmformat in zwei Hälften teilt). Wir sehen die starre Zelebration auf der einen, das protestierende Volk auf der anderen Seite Und wenn dann die Nationalhymne, die doch Ausdruck der Verbundenheit einer Nation sein soll, in den grellen Pfiffen des Volkes untergeht, dann wird hier mit erschreckender Deutlichkeit dokumentiert, wie weit sich Staatsdenken und Volksempfinden auseinandergelebt haben.

Neben derartigen Filmen mit politischer Aussagekraft hat Axel Engstfeld auch Fernsehbeiträge geschaffen, die sich abheben vom Üblichen. Einige Beispiele: "Weisshäute" über Freizeitindianer unter uns, Menschen, die in ihren Clubs mehr tun als indianische Lebensweisen nachzuahmen, sondern auch deren Wertvorstellungen übernehmen. Eine Flucht aus der Zivilisation in eine unerreichbare Kultur.

1981 entstand "Der gute Mensch von Santa Fu”, eine Reportage über die letzten Arbeitstage des Leiters der Strafanstalt Hamburg-Fuhlsbüttel, der gegen mannigfachen Widerstand liberalen Strafvollzug durchgesetzt hatte. Im Juni begannen die Dreharbeiten zu einem weiteren Fernsehfilm, Thema: das private Wach- und Sicherheitsgewerbe in der Bundesrepublik.

Auffallend, wie seine Filme einer permanenten Weiterentwicklung unterliegen. Als Zukunftsprojekt beschäftigt er sich mit dem für viele Regisseure so rezvollen Episodenfilm. Aber eine lösung für das Problem des dramaturgischen Aufbaus, an dem bisher noch immer der Publikumserfolg von Episodenfilmen gescheitert ist, hat auch Axel Engstfeld noch nicht gefunden. Hat doch jeder einzelne Abschnitt seinen eigenständigen Aufbau, seinen Höhepunkt, der sich der Dramaturgie eines längeren Films Kaum unterordnen läßt.

Eines ist sicher, auch wenn Axel Engstfeld dieses Projekt nicht (oder vorerst nicht) realisieren wird: es werden bedeutende Impulse und Anregungen von ihm ausgehen, nicht nur für die anderen Dokumentaristen, vielleicht – und das bleibt zu hoffen – auch für die bundesdeutsche Spielfilmszene. Seine Filme könnten eines Tages die Grundlagen erarbeiten für politische Spielfilme im Sinne Costa Gavras ("Z”, "Vermißt”) – Regie Axel Engstfeld wäre nicht ausgeschlossen. "Mit dem Film, wie er ist, widerlegt man nicht den Film, wie er sein könnte”, hat Arnheim geschrieben. Ganz sicher trifft das auch auf den Dokumentarfilm zu.

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